Das Haus an der Berliner Allee 125 blickt auf über 100 Jahre Geschichte zurück. Ein wesentliches Charakteristikum des historischen Gebäudes sind dessen Wandlungen, die stark von den zeitlichen Gegebenheiten der Berliner Stadtgeschichte beeinflusst wurden. So verwundert es auch nicht, dass der Ursprung für das heutige Bildungs- und Kulturzentrum dort zu finden ist, wo man ihn vielleicht nicht vermuten wurde: In einem Krug Bier.
Den Beginn der Geschichte finden wir im Jahr 1883, als das damalige Schloss Weißensee in die Hand des Restaurateurs Rudolf Sternecker überging. Dessen ambitionierte Pläne sahen vor, auf dem Schlossgelände ein „Welt-Etablissement“ zu eröffnen, welches amusement en masse bieten sollte.
„Nachdem das Schloß Weißensee, welches durch seine allmonatlich stattfindenden Pferdemärkte auch in weitere - nicht nur dem Vergnügen, sondern auch den Handel huldigenden Kreisen vorheilhaft bekannt sein dürfte, in kurzer Zeit mehrfach den Besitzer gewechselt, ist es jetzt in das definitive Eigenthum des Restaurateurs Rudolf Sternecker übergegangen; dadurch ist aber erst rechtes Leben in die Besitzung hineingekommen.“ - Niederbarnimer Kreisblatt, 14. März 1883 (No. 28)
Sternecker übernahm sich jedoch in seinem Vorhaben und rutschte ein Jahrzehnt später in den Konkurs. Das Grundstück ging daher im Jahr 1892 in den Besitz des Brauers Gustav Enders über. Sternecker verschwand spurlos.
Jahrhundertwende: Enders' Erweiterungen
Durch Enders wurden zahlreiche Erweiterungen in Gang gesetzt. Im Jahr 1902 wurde unter der architektonischen Leitung von Max Bing der Große Saal angebaut. Bemerkenswert ist insbesondere die Schnelligkeit, mit der eine solche Konstruktion zur damaligen Zeit realisiert werden konnte: Den Bauschein erhielt Enders am 16. April 1902, die Rohbauabnahme beantragte er am 16. Juni und am 22. Oktober bereits die Gebrauchsabnahme. Der Große Saal war im Stile des Neobarocks gehalten, ornamentale Verzierungen und Muscheldekor verliehen den Mauern einen besonders erhabenen Charakter.
Mit Enders‘ Bauvorhaben sind einige prominente Weißenseer Namen verbunden. Sicherlich wird der eine oder andere einmal über die Woelck-Promenade flaniert sein oder seinen Weg entlang der Feldtmannstraße gesucht haben. Ortsvorsteher Heinrich Feldtmann und sein Nachfolger Dr. Carl Woelck ab 1906 als Bürgermeister befassten sich persönlich mit den Bauvorhaben und Angelegenheiten von Enders.
Ausschank der "Borussia Brauerei" (1914-1920)
Herkunft/Rechte: Museum Pankow [CC BY-NC-SA]
Beide waren ihrerseits enorm engagiert, die städtische Entwicklung zu fördern, sowie die Fusion von (Alt-)Weißensee und Neu-Weißensee voranzutreiben. Und tatsächlich: Im „Niederbarnimer Kreisblatt“ findet sich ein Eintrag vom 4. Januar 1905: Es war Zeit, die Vereinigung von Weißensee und Neu-Weißensee zu feiern. Austragungsort der Festivitäten war kein geringerer als der Große Saal der Enders-Brauerei.
Im Jahr 1908 folgte der dann der Kleine Saal als Verbinder zum Restaurationsgebäude. Ein Maurerstreik, der sich für die Einführung des Acht-Stunden-Tages einsetzte, verzögerte die Baumaßnahmen.
Ein rätselhafter Architekt
Um Enders‘ Architekten Max Bing ranken sich einige Mysterien. Die Bauakten bezeugen seine Fähigkeit: Sorgfältige Konstruktionen und Berechnungen, kluge handschriftliche Bemerkungen zu Änderungen - vieles spricht dafür, dass es sich um einen angesehenen Architekturkünstler gehandelt haben muss. Bings Atelier für Architektur und Bauausführungen fand sich damals in einer äußerst prominenten Adresse: Unter den Linden 53. Prominenz fand sich ebenfalls unter seinen Auftraggebern: Der bekannte Chocolatier Hildebrandt beauftragte Bing und den Architektenkollegen H. Förstchen mit dem Bau eines Hauses in der damaligen Kronenstraße 17.
Trotz seines Könnens verblieben nur einige Spuren der Vita von Max Bing erhalten und eine Rekonstruktion seines Lebens gestaltet sich als äußerst schwierig. Das Haus in der Kronenstraße 17 wurde im II. Weltkrieg komplett zerstört. Nur noch die Säle am Weißen See erinnern weiterhin an sein Werk.
„Die Bezeichnung „Atelier für Architektur und Bauausführungen“ im Stempel lässt vermuten, dass er alles verantwortet und beeinflusste, vom Dach bis zum Keller, außen wie innen.“ - Dr. Hans-Jürgen Nagel
Das Haus in der Kronenstraße 17
Die Enders-Brauerei erreichte eines Tages ihren Zenit und ging 1911 in den Besitz des Geschäftsmannes Ignatz Nacher über. Bis zum Jahr 1921 firmierte nun der Betrieb „Berg-Brauerei Nacher & Co.“ (ursprünglicher Standort war die Bergstraße in Mitte) am Weißen See. Nacher war dank seiner Erfindung der Pfandflasche und dem Erfolg alkoholfreien Malzbiers vermögend geworden und baute später als Generaldirektor das Bier-Imperium Engelhardt auf.
Seine Erfolge schützten Nacher leider nicht vor Enteignung und Verfolgung im Jahr 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft. Nacher starb später verarmt im Exil in der Schweiz.
Das Schloss Weißensee brannte 1919 ab und existiert heute nicht mehr. Auch die Restauration erlebte eine Veränderung mit dem Ende des Brauereibetriebes 1921. Im Jahr 1924 kaufte die Robert Koschwitz Fleischwarenfabrik + Aktiengesellschaft das Gebäude und produzierte hier (ab 1953 als staatlicher Betrieb) Wurstwaren. 1927 wurde der Große Saal in einen Kinobetrieb überführt. Die neuen „Lichtspiele Schloss-Weißensee“ boten bis zu 800 Gästen Platz. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden hier Filme vorgeführt.
Zum Weiterlesen...
- Bauaktenarchiv Berlin-Pankow
- Berliner Adreßbuch Ausgabe 1905 mit Einträgen zu Gustav Enders
- Berliner Woche: Vor 100 Jahren brannte das Gutshaus am Weißen See nieder
- Am Rande der Stadt: Eine Untersuchung der Entwicklung des Baukörpers im Gründerviertel von Berlin-Weißensee in der Zeit von 1871-1905. Magisterarbeit von Deniz Rönsch
Historische Dokumente
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Quellen
- Amtliches Fernsprechbuch für Berlin. Branchen-Fernsprechbuch. In: Amtliches Fernsprechbuch für den Bezirk. Reichspostdirektion Berlin, 1940, abgerufen am 20. März 2020.
- Bauaktenarchiv des Bezirksamtes Pankow auf berlin.de
- Berliner Adreßbuch Ausgabe 1905
- Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.): Denkmalliste. Berlin 2019.
- Johanna Niedbalski: Die ganze Welt des Vergnügens: Berliner Vergnügungsparks der 1880er bis 1930er Jahre. 1. Auflage. Bebra Verlag, 2018, ISBN 978-3-95410-212-9, S. 66.
- Niederbarnimer Kreisblatt, 14. März 1883, sowie 4. Januar 1905
- Weißensee Schlosspark-Lichtspiele. In: Kinowiki. Abgerufen am 20. März 2020.
- Stephan Waetzoldt: Bibliographie zur Architektur im 19. Jahrhundert - Aufsätze in den deutschsprachigen Architekturzeitschriften 1789 - 1918. Hrsg.: Stephan Waetzoldt. Kraus-Thompson Organization Limited, Nendeln, ISBN 3-262-00000-0, S. 2619.